Frauen vergessen im Laufe der Jahre, ihre BH-Größe anzupassen
Es zwickt, drückt oder drückt: Frauen haben oft mit schlecht sitzenden BHs zu kämpfen. Schuld daran ist das genormte BH-Größensystem – aber auch die Frauen selbst. Sie greifen immer wieder zur gleichen Größe.
Der Kauf eines BHs ist eine echte Herausforderung. Wie findet man den richtigen BH? Und wenn der perfekte BH gefunden ist, wird er so lange getragen, bis er auseinanderfällt. "Viele Frauen tragen schlecht sitzende BHs", sagt Dessous-Schneiderin Stephanie Schneider aus Brandenburg. Sie näht maßgeschneiderte BHs für verzweifelte Frauen.
"Sobald Frauen flachere oder größere Brüste haben, fallen sie komplett aus dem deutschen BH-Größensystem heraus", so ihre Erfahrung. Der schlecht sitzende BH sei oft ein Tabuthema. "Viele denken, sie seien falsch oder mit ihnen stimmt etwas nicht", sagt Schneider.
Manchmal wird eine große Oberweite zum Problem für den Rücken. Eine ihrer Kundinnen, eine ältere Dame aus Sachsen-Anhalt, habe aufgrund ihrer großen Oberweite einen Rundrücken entwickelt, erzählt Schneider. Mit einem maßgeschneiderten BH sei es gelungen, ihre Brüste um 20 Zentimeter anzuheben, so dass die Frau wieder aufrecht gehen könne. "Sie hat seitdem 20 Kilo abgenommen, weil sie wieder spazieren gehen konnte."
Anja Barth vom Verband Gesamtmasche, der Dessous-Hersteller in Deutschland vertritt, sagt: „Etwa 80 Prozent der Frauen kennen ihre BH-Größe nicht und wählen häufig die falsche Größe. Das ist die Ursache für die meisten Passformprobleme.“ Verschiedene Studien untermauerten dies, sagt Simone Morlock, Leiterin des digitalen Passformlabors beim Prüfdienstleister Hohenstein. Eine Messung und Befragung von 1500 Frauen durch Hohenstein im Jahr 2001 ergab, dass mehr als 50 Prozent der Frauen eigentlich eine größere BH-Größe tragen sollten.
"Unser Größensystem kann das Brustvolumen nicht genau beschreiben", erklärt die Expertin. Die Körbchengröße gebe nicht an, wie groß das Volumen der Brust ist und wie es sich im Körbchen verteilt. Jede Frau sei einzigartig. Auch hätten die Körbchen verschiedener Hersteller ganz unterschiedliche Formen. "Frauen vergessen im Laufe der Jahre außerdem, ihre BH-Größe anzupassen", ergänzt Morlock. "Auch wenn man immer schlank bleibt, verändert sich die Brust." Leider neige Frauen dazu, keine größere Konfektionsgröße zu wählen.
"Jeder weibliche Körper ist anders", sagt Anja Barth. Zwar biete das Größensystem keine perfekte Passform, aber aufgrund der Vielfalt an BH-Größen diene es als gute Orientierung. "Größennormen machen eine qualitativ hochwertige Massenproduktion von Kleidung möglich."
Doch was hat es mit den Größen auf sich? Die Spur führt ins Jahr 1958. Damals hat Hohenstein erstmals Tausende Frauen in Westdeutschland vermessen. Solche Maße sind die Grundlage für sogenannte Korsetttabellen. „Und daran orientieren sich auch die BH-Größen“, erklärt Simone Morlock. Wann das Körbchengrößensystem erfunden wurde, ist unklar. Klar ist allerdings, dass die Zahl der BH-Größe den Unterbrustumfang beschreibt, die Körbchengröße die Differenz zwischen Brust- und Unterbrustumfang. Das ist eine Wissenschaft für sich.
Maßtabellen hin oder her: Dessous-Schneiderin Stephanie Schneider verzichtet ganz darauf. Maßanfertigungen sind für die meisten Frauen allerdings keine Option. "Das ist für die Mehrheit nicht erschwinglich", sagt Barth. "Der teure Teil des BHs ist die Schnittkonstruktion. Die ist unglaublich kompliziert. Da geht es um Architektur und Physik, um die Ableitung von Kräften", erklärt Schneider. Das passt nicht ins Gewinnoptimierungsdenken vieler Hersteller.
Firmen wie Triumph bieten ihren Kundinnen mittlerweile einen 3D-Scan an, um die Suche nach dem passenden BH zu erleichtern. Doch noch wird das Scan-Angebot zögerlich angenommen. „Die meisten Frauen ‚kennen‘ ihre Größe und messen sich nicht – entgegen unserer Empfehlung – vor jedem Kauf“, sagt Claudia Roos, Head of Creative Design bei Triumph. Sie empfiehlt, sich in einem Fachgeschäft beraten zu lassen.
Einige Hersteller versuchen zunehmend, sich vom Größenkorsett zu lösen. „In unserer Kollektion finden sich Produkte mit einem sogenannten Easy Sizing, das unabhängig von der Cup-Größe beworben wird und einen sicheren Sitz garantiert“, erklärt Alexandra Schmid, Leiterin Produktmanagement bei Schiesser.
Weiche Bustiers, die sich dem individuellen Körper anpassen, seien derzeit im Trend, sagt Barth. „Körperliche Schwankungen sind kein Problem mehr – sie passen sich an.“ Der Trend gehe generell in Richtung bequeme Dessous und mehr Natürlichkeit. „Frauen wollen nicht mehr in ein enges Korsett gezwängt werden“, ist sie überzeugt. Das hänge auch mit der Body-Positivity-Bewegung zusammen, die gegen unrealistische Schönheitsideale ankämpfen will.